Eigentlich hätten sie beissen müssen

Text und Video: Steff Aellig

Wir haben uns minuziös auf diesen Tag vorbereitet und ihn schon seit August im Familienkalender fett eingetragen als «Seeforellen-Eröffnung: ganztags weg!» Und auch etwa so lange schon freuten wir uns darauf wie kleine Kinder auf Weihnachten. «Noch zweimal schlafen!» habe ich Philipp am Heilig Abend aus der Familienfeier heraus heimlich zugetextet – mit einem riesen Blinzel-Smiley, das die Zunge rausstreckt.Tipps und Tricks von Profi Sacha einholen, Schleppsystem upgraden, gefrorene Köderfische besorgen, Boxen mit Löffeln, Spangen und Gummifischen sortieren, Autopilot auf dem Boot neu verkabeln, Testfahrt am Vortag – das meine ich mit minuziös. Philipp lässt da nichts anbrennen. Fast nichts.

«Scheisse!», ruft er beim Ausfahren aus dem Hafen. Es ist noch stockdunkel. «Ich habe die weisse Schleppkugel Zuhause liegen lassen. Ich wollte noch das Rundumlicht daran befestigen und jetzt liegt sie in der Werkstatt. Verdammt!» Und wenn an einem Wintertag die Seepo unterwegs ist, dann garantiert heute. Improvisation ist gefragt. Mit einer Leine wickeln wir ein weisses Sitzkissen zu einem halbwegs runden Knäuel. Das muss als Kugel durchgehen, finden wir beide – und giessen einen tüchtigen Schluck Rum in den dampfenden Kaffee.

«Biss!», ruft Philipp plötzlich. Das tönt noch besser als die Beatles-Musik, die wir jedes Jahr auf der Seefo-Eröffnung spielen. Das eine Schleppbrett zieht kräftig nach hinten, und die Wasseroberfläche spritzt auf. «Dein Fisch!», lächelt Philipp galant, und ich beginne mit dem Einkurbeln. Kann nichts Grosses sein. Dann sehe ich den bezahnten Entenschnabel aus dem Wasser auftauchen. Ok, der Hecht ist heute nicht unser Zielfisch, aber immerhin: Fisch. Denn beim Fischen ist es anders als in der Mathematik: Der Unterschied zwischen Null und Eins ist kategorial; viel grösser als jener zwischen eins und allen nachfolgenden Zahlen. Der erste Fisch rettet den Tag.

Hätten wir gewusst, dass es der einzige Biss des Tages bleibt, wir hätten gejubelt, uns abgeklatscht, Fotos geschossen. Gut weiss man nicht alles zum Voraus. Auch nicht, dass zwei Stunden später ein Kursschiff eine unerwartet enge Kurve zieht und uns dabei den äussersten Zügel abreisst. Und auch nicht, dass drei Stunden später der Stahldraht auf der Tiefseeschleike vor Altersschwäche bricht, und sich das kiloschwere Blei mit drei Zügeln und wertvollen Löffeln mit einem kaum hörbaren «Klick» in Richtung Seegrund verabschiedet. 128 Meter misst das Echolot an dieser Stelle.

So sitzen wir denn vier Stunden später ziemlich erschöpft von den aufregenden, doch forellenlosen Ereignissen bei unserem traditionellen See-Fondue. Wir schreiben «Seefo-ndue» – in Anspielung auf die erhofften Silberbarrren heute. Bleibt ja noch der ganze Nachmittag. Wir wollen fischen, bis es Nacht ist. So haben wir es in der Family-Agenda eingetragen.

Am obligaten Telefon hinüber zu Sachas Boot haben wir es gehört: Wenn sich die Dämmerung über den See legt, kommt nochmals eine Beissphase. Wobei das «Nochmals» hier nicht wirklich passt. Er habe nur von einer einzigen «massigen» Forelle gehört heute, erzählt Sacha. Sein Informationsnetz umspannt die gesamte Seefläche. Es laufe äusserst harzig. Hechte würden zahlreich gefangen, Forellen aber kaum. Trotzdem: Nochmals alle Zügel einziehen, vom Seegras befreien und mit frischen Köderfischen bestücken. Jetzt muss es klappen.

Eigentlich könnte die Story hier enden. Wäre ja auch kein so trostloser Schluss: Einen Teenager-Hecht, ein gemütliches «Seefo-ndue» und tiefgründige Männer-Gespräche. Deshalb sind wir doch hier draussen auf dem Boot, oder? Nicht nur, um ganz ehrlich zu sein. Ich erwähn’s trotzdem kurz: Zwei Schleppbretter haben wir beim Einziehen verloren und in der Dunkelheit nur dank GPS wieder gefunden. Und einer von Philipps sagenhaften pulverbeschichteten Rutenhaltern ist mit einem lauten Knall gebrochen. Rute, Rolle, Köder: alles versinkt im See. Zum Glück hängt der ganze Karsumpel noch am Schleppbrett, das dank der Styroporkugel genügend Auftrieb hat. Wir können alles wieder retten.
Dann ist wirklich Schluss. Denn jetzt ist Nacht. Obwohl: In der Ostsee ist die beste Beisszeit auf Meerforellen nach Mitternacht…

Lies auf unserer Themenseite die Berichte in der Zürichsee Zeitung zur Forellen-Eröffnung.

 

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